Theater hinter Gittern


Der Film GANGSTER GIRLS entstand während der Arbeiten am Theaterprojekt MEDEA BLOSS ZUM TROTZ, eines der wenigen Gefängnistheaterprojekte in Österreich. 
In diesem Bereich finden Sie Materialien zum Stück und zu “Häfntheater” im Allgemeinen.

 

 Medea hinter Gittern. Ein Häfn-Theater

Ulla Ebners Radio-Feature über MEDEA BLOSS ZUM TROTZ auf ORANGE 94.0 wurde mit dem Radiopreis der Erwachsenenbildung in der Sparte Kultur ausgezeichnet.

[anhören]

Während so manche MitbürgerInnen meinen, man solle VerbrecherInnen wegsperren und bei Wasser und Brot für ihre Taten büßen lassen, spielt Regisseurin Tina Leisch mit GefängnisinsassInnen Theater. Mit Häftlingen aus dem Frauengefängnis Schwarzau sowie der Jugendstrafanstalt Gerasdorf erarbeitete sie das Stück „Medea bloß zum Trotz“, eine moderne Version des griechischen Dramas rund um die Kindsmörderin Medea. „Beim Theaterspielen können sie aus ihrem eigenen Verhaltensgefängnis ausbrechen und sich frei verhalten“, meint Ko-Regisseurin Sandra Selimovic. Women on Air blickte hinter die Kulissen und sprach mit RegisseurInnen, DarstellerInnen und Gefängnisleitung über Sinn und Unsinn von Besserungsanstalten und das Potenzial von Kulturarbeit hinter Gittern. Sendungsgestaltung: Ulla Ebner

 

Jeden Sonntag Messe, aber nicht einmal alle heiligen Zeiten Kultur

Plädoyer für eine Gleichberechtigung von Göttern und Musen, zumindest was ihre Funktion als KAS (Kaiserliche Arrestschließer) betrifft. 

Von Tina Leisch

Wenn das Mensch am Boden seines Lebens hingeschmissen liegt, ist die Stunde der Priester angebrochen. Evangelische, katholische und evangelikale Pfaffen, Seelsorger der Zeugen Jehovas und Imame gehen in den Gefängnissen auf Seelenfang wie Angler im Haus des Meeres. 

Vielen Gefangenen sind sie willkommener Besuch. Sind sie doch meist die einzigen AnsprechpartnerInnen, die weder Mitglied der Gefangenensubkulturen noch Verpflichtete der einsperrenden Institution sind. Mit dem Priester kann man zumindest offen über Dinge sprechen, die man SozialarbeiterInnen, PsychiaterInnen oder TherapeutInnen – aber auch Mitgefangenen – nicht sagen kann. Denn zwar ist das Leitmotiv heutiger Justizpraxis weniger die Rache und die Strafe, sondern mehr Resozialisierung und Therapie, doch die TherapeutInnen und SozialarbeiterInnen sind Teil der Gefängnismaschinerie. Was man ihnen anvertraut, wird zum Argument für oder gegen Hafterleichterungen oder vorzeitige Entlassung. Insofern haben viele Gefangene ein großes Interesse daran, ihnen gegenüber ein vorteilhaftes Bild von sich selbst zu malen. (Es gibt natürlich auch Ausnahmen: Leute, die sich weigern, Resozialisierung zu simulieren und um den Preis der vollen Strafe aus ihrer Berufswahl VerbrecherIn der Institution gegenüber kein Geheimnis machen.) 

Die Gefangenensubkulturen andererseits haben oft sehr rigide Regeln, die jemandem Status zuschreiben oder aberkennen. Auch da ist es oft notwendig mit Bekenntnissen eher vorsichtig umzugehen um nicht Stufen auf der Hierarchieleiter hinab zu steigen.

Die Frage ist allerdings, wieso ein säkulärer Staat nur den Göttern die Schließerfunktion zubilligt, nicht aber den Musen. 

Wieso dürfen Hilfswillige im Namen von Herrgott, Allah oder Jehova selbstverständlich Gefangene besuchen, mit ihnen Gesprächskreise, Betabende, Beichtstunden abhalten, aber wer das im Namen von Melete (Nachdenken), Klio (Geschichtsschreibung), Melpomene (Tragödie), Terpsichore (Tanz, leichte Unterhaltung), Thalia (Komödie), Euterpe (Flötenspiel und Gesang), Erato (Liebes-Lyrik ), Urania (Sternkunde und Lehrdichtung), Polyhymnia (Hymnische Dichtung und Pantomime) oder Kalliope (Philosophie) tun will, beißt oft auf Granit. 

Gefangene in Österreich haben Anspruch auf eine Kulturveranstaltung im Quartal. Was da präsentiert wird, suchen die für Freizeitbetreuung zuständigen Justizwachbeamten aus – oft nach ihrem eigenen Geschmack. Kulturelle Projekte von KünstlerInnen mit Gefangenen sind nur in den wenigen Anstalten möglich, in denen fortschrittliche AnstaltsleiterInnen das Potential von Kunstarbeit zu schätzen wissen. Dass sie vom Justizministerium bezahlt wird, ist eine große Ausnahme. 

Derweilen wäre kulturelle Arbeit umso wichtiger, da viele Leute im Häfen sitzen, weil in der Kultur oder Subkultur, der sie angehören, andere Regeln gelten als in der Mainstreamkultur, die die Gesetze macht. Um die einander widersprechenden Regeln der verschiedenen Sozietäten, zu denen man gleichzeitig gehört, zu erkennen und in diesem Identifikations- und Loyalitätsdilemma selbstbewusste Entscheidungen zu fällen, müsste man sie sich zumindest ein wenig vom Leib halten können: In der engen Zwangsgemeinschaft der Haft sehr schwierig. 

Theaterspielen eröffnet da einen Freiraum um spielerisch und lustbereitend Konfliktsituationen und Verhaltensmuster auszuprobieren ohne in die oft narzisstisch kränkende Therapiesituation der Reflexion über das eigene Leben=Versagen gestoßen zu sein.

Insoferne plädiere ich dafür, sofort den Musen die Schlüssel zu den österreichischen Gefängnissen zu überreichen. Wer in ihrem Namen mit den Gefangenen arbeiten möchte, darf das selbstverständlich. Wenn Gefangene den Wunsch nach Liebeslyrikkursen, Geschichtswerkstätten und Tanztheater äußern, soll er ihnen genauso erfüllt werden, wie der Wunsch nach Beichte oder heiliger Kommunion. Amen.

 

Pressestimmen zu MEDEA BLOSS ZUM TROTZ:
 

Margarete Affenzeller / DER STANDARD

Tina Leisch errichtet ihr Theater an vordergründig nicht dafür vorgesehenen Orten. Im Fall von “Medea bloß zum Trotz” sind es Häftlinge der Frauenstrafvollzugsanstalt Schwarzau sowie der Justizanstalt für männliche Jugendliche Gerasdorf, die ihre Strafen absitzen und nun am Theater abhandeln, was sie selbst betrifft: die Verfehlung, Bedrängnis, Zerrüttetheit, die Tat. Den antiken Mythos von Medea, der tapferen Kämpferin, der unerschrockenen Ausländerin unter den Griechen, der geschassten Ehegattin und schließlich Kindsmörderin transferiert Leisch mit Co-Autorin Alma Hadzibeganovic in ein zeitgenössisches kriminelles Milieu. Eine von Bildern prallvolle Sprache erhebt die Story dabei über sich und ihre aus Zuwandererwienerisch und ungeschöntem Gossenslang legierte “Kanak Sprak” hinaus. Im rauschhaft bunten Tüll der Frauen (Kostüme: Sandra Sekanina), am blutroten Licht und an den Lassoschwüngen, die das Vlies (in Wahrheit ein Bettvorleger) triumphal über den Köpfen kreisen lassen, mag man die Verwegenheit dieser Gesellschaft lesen. Die intendierte Konfrontation der realen Personen mit dem Figurenpersonal erzeugt Beklemmung, ist aber mehr als ein koedukatives Sozialprojekt. Schon allein der Gedanke, hinter den Mauern eines Gefängnisses eine “moralische Anstalt” zu behaupten, ist feinste Politik.

 

Robert Sommer / AUGUSTIN

Resozialisierung ernst nehmen hieße: die Talente der Gefangenen entdecken - das wäre sozusagen der einzig denkbare Bonus des Einsperrens: Wo sonst als im Knast gibt es die Muße, die notwendig ist, um ein Talent zu entdecken? Und dann müsste man auch Bedingungen schaffen, dass diese Talente gelebt werden können. Aber leider: Die Kunstprojekte kitzeln Talente hervor, aber die KunstarbeiterInnen streben von einem Handlungsfeld zum anderen.
Die Beteiligten stürzen dann in dem Augenblick, in dem sie ihre Potentiale entdeckt haben, in ein Loch, in dem sie mit hoher Wahrscheinlichkeit die Erfahrung machen, dass ihre Potentiale in der Gesellschaft einen Scheißdreck wert sind. Man könnte das durch eine Kontinuität der Kulturarbeit im Häfen und in Folge in Haftentlassenenprojekten bekämpfen. Das geschieht aber bisher leider nicht.        

 

Christine Imlinger / DIE PRESSE, 1.11.2007

Wie feiert ein Gefängnis Jubiläum? Und gibt es dabei überhaupt etwas zu feiern? Ja, sagt die Leitung der Justizanstalt Schwarzau. Obwohl in 50 Jahren Frauengefängnis mehr als 5000 Lebensjahre hinter Gittern verbracht wurden, feiert Schwarzau seinen Fünfziger mit einem Theaterstück: Insassinnen spielen mit Häftlingen der Jugend-Strafvollzugsanstalt Gerasdorf „Medea bloß zum Trotz“.
Es ist kein gewöhnliches Theater. Statt Karten kontrollieren Justizwachebeamte am Eingang Ausweise und Gästelisten. Das barocke Schloss mit dem malerischen Park erkennt man nur an der Mauer mit Stacheldraht und den vergitterten Fenstern als Gefängnis.
Das Stück, inszeniert von Tina Leisch, erzählt die Geschichte der Gangsterbraut „Madgirl“, angelehnt an die griechische Medea. Sie verliebt sich in den Banditen „Justin“, wird zur Räuberin und landet hinter Gittern. Das Drama ist an die wahren Geschichten der Insassinnen von Schwarzau angelehnt. Falsche Liebschaften, Betrug, Verrat, Mord. Der klassische Stoff griechischer Tragödien. „Zu Beginn der Arbeit im März haben wir unsere eigenen Geschichten niedergeschrieben“, erzählt eine Schauspielerin, die im Stück „Jacky“ heißt. Die echten Namen und ihre Straftaten sollen nicht öffentlich werden. Ob die Darsteller Räuber, Mörder oder Diebe sind, sei nicht wichtig, sagt Regisseurin Tina Leisch. „Die Taten der Frauen interessieren uns wenig. Es soll ein Querschnitt abgebildet werden.“ Vieles ist bei Improvisations-Workshops entstanden. „Teilweise habe ich mich wiedergefunden, aber es ist überzeichnet und nicht biographisch“, sagt Mimin „Sophia“ nach der Premiere am Dienstag. Das Wichtigste an der Theaterarbeit sei die Abwechslung vom Gefängnisalltag. Zwei Mal pro Woche haben die Insassinnen gemeinsam mit den männlichen Darstellern, Häftlingen der Justizanstalt für männliche Jugendliche in Gerasdorf geprobt.
Justizministerin Maria Berger hat das Stück „irrsinnig gut“ gefallen. „Das Wichtigste dabei ist die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte und die Kommunikation“, sagt Berger der „Presse“. Sie will Kultur im Gefängnis fördern. „In erster Linie ist das eine Frage der Ideen und des Wollens, nicht der Kosten.“
Zumindest in Schwarzau sei diese Bereitschaft vorhanden, sagt Nestroypreisträgerin Leisch, die schon im Jugendgefängnis Gerasdorf, im Wiener Männerwohnheim in der Meldemannstraße und am Steinhof Theaterprojekte realisiert hat. Die Idee zu Medea stammt von Anstaltsleiter Oberst Neuberger. Das „Häfntheater“, wie sie es nennt, habe den Alltag in Schwarzau trotz aller Unterstützung ganz schön durcheinander gebracht. Schließlich sei die Freiheit der Kunst mit den strengen Regeln der Justiz schwer vereinbar. „Unter den Insassinnen von Schwarzau hat es auch Neider gegeben“, erzählt „Jacky“. Rund 160 Frauen sitzen in dem Schloss, der einzigen Frauenstrafvollzugsanstalt Österreichs, ein.
Nach der Aufführung wird wieder klar, dass es ein kein gewöhnliches Stück in keinem normalen Theater ist. Begeisterter Applaus, Dankesreden und Blumen für die Theatermacher, dann ist der Abend für die Schauspieler vorbei. Während sich die Premierengäste in den Verwaltungsräumen des Schlosses am Buffet laben, werden sie streng bewacht hinter Schloss und Riegel gebracht.