Interviews


KURIER Online, 21.10.2008
Gangster Girls: Kino im Häfen
Intelligente Lösungen für Nazi-Mädels 
Über die Kunstauffassung aus dem letzten Jahrhundert, Zwangsgemeinschaften und Therapie-Theater: Regisseurin Tina Leisch im KURIER Online-Interview.

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 Interview mit der Regisseurin Tina Leisch

VIENNALE auf ORANGE 94.0, ausgestrahlt am 20.10.2008

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Interview mit Brigadier Gottfried Neuberger, Anstaltsleiter der Justizanstalt Schwarzau

Warum haben Sie in der Schwarzau eine koedukative Theatergruppe?

Die Welt besteht aus Männern und Frauen, im Gefängnis aber sind die Geschlechter strikt getrennt. Koedukative Projekte dienen dazu, ein wenig Normalität herzustellen. Gerade für die Gerasdorfer Jugendlichen ist es auch pädagogisch sehr wichtig, dass sie lernen mit Frauen gleichberechtigt zusammen zu arbeiten und Frauen nicht nur auf Aufriss anzubraten.
Außerdem bringt uns die Theatergruppe, dass in der Öffentlichkeit das schiefe Bild von Strafgefangenen zurecht gerückt wird, dass man sieht: das sind ganz normale Menschen. Das hilft, eine Stimmung zu bereiten, die den Gefangenen dann den sozialen Wiedereinstieg erleichtert.

Was sind die Schwierigkeiten bei so einem Projekt?

Gefängnisse sind gebaut, um Leute einzusperren. Dann den MitarbeiterInnen zu erklären: wir öffnen uns jetzt ein Stück weit, trotz Gefängnis, erregt bei manchen vorerst Misstrauen, denn sie haben die Erfahrung gemacht: Alles was von außen kommt, kritisiert uns. Da kommen fremde Menschen daher und machen ein Theater, wozu brauchen wir das? Bei manchen hat es eine Zeitlang gedauert, bis man da gegen den Paranoia-Cha-Cha-Cha angekommen ist. Und einige wenige wollen gar nicht sehen, welche Berührungen da möglich sind.

Was sagen Sie zur Kritik am Strafvollzug, Gefängnisse dienten nicht der Besserung, sondern würden vielmehr zur Kriminalität allererst erziehen?

In dieser Schärfe stimmt das sicher nicht. Man muß die Gefangenensubkultur im Auge behalten und das Gefängnis möglichst so einrichten, dass die Leute nicht verlernen, ihr Leben selbst zu gestalten. Denn mit Ausnahme von Jugendlichen und psychisch Kranken haben die meisten InsassInnen ja vorher ein normales, selbstständiges Leben geführt. Kriminelle sind ja nicht 24 Stunden rund um die Uhr kriminell. Es sind normale Leute, die aus verschiedenen Gründen eine Straftat begangen haben.
Natürlich besteht vor allem bei langen Strafen die Gefahr, soziale Kompetenzen zu lange ruhen zu lassen. Das ist unsere Aufgabe: vor allem in den letzten zwei Jahren vor der Entlassung dafür zu sorgen, dass die wieder erlernt werden.
Und zum Wort „Besserung”: Das ist ja eine philosophische Frage, ob ich jetzt ein besserer Mensch bin, nur weil ich keinen Mercedes gestohlen habe? Weiß ich nicht.
Wenn das Gefängnis eine moralische Rechtfertigung hat, dann deshalb, weil man sich bemüht, den Menschen Hilfestellungen zu geben, dass sie nachher in der Gesellschaft besser zurecht kommen. In vielen Fällen gelingt das, nicht in allen. Dafür verantwortlich, ob es gelingt, ist zum Teil das Gefängnis, zum Teil jede/r selbst und zu einem ganz großen Teil die Gesellschaft, in die der/die Gefangene nach der Entlassung kommt. Gibt es da Menschen und Institutionen, die sie stützen, ihnen am Arbeitsmarkt helfen? Es geht vor allem um die kritische Phase sechs bis zwölf Monate nach der Entlassung. Ist die überstanden, ist die Wahrscheinlichkeit für einen Rückfall gering.

Was sind die Unterschiede zwischen dem Strafvollzug in Gerasdorf und in der Schwarzau?

Bei den männlichen Jugendlichen in Gerasdorf braucht man sehr viel Zeit, dass sie Vertrauen finden, sich öffnen, dass man glaubwürdig wird, dass sie auch das Gespräch suchen. Es ist viel Arbeit, überhaupt dahin zu kommen, dass man etwas bewirken kann.
Bei den Frauen entfällt diese Arbeit. Frauen suchen von selbst das Gespräch, die Konfrontation. Da besteht die Arbeit mehr darin, dann die Ansprüche auch zu erfüllen, die Zeit für diese Kommunikation auch zu haben.
Körperliche Gewalt ist ein typisch männliches Problem. Frauen sind eher selbstgefährdend, rutschen eher in Depression, psychische Krankheit, Abhängigkeit, dann erst in die Kriminalität.
D.h. in Gerasdorf muß man viel investieren in Anti-Gewalttraining, in der Schwarzau braucht es dagegen mehr Ressourcen für therapeutische Maßnahmen, um das Selbstbewusstsein der Frauen zu stärken.
Sowohl in Gerasdorf als auch in der Schwarzau gibt es einen auffällig hohen Prozentsatz an Gewaltopfern. Über 80 % sowohl der Jugendlichen als auch der Frauen haben massive Gewalterfahrungen gemacht und unter den männlichen Jugendlichen ist die Dunkelziffer an Opfern von Vergewaltigungen sehr hoch.

Was sind Ihre Vorstellungen für eine Verbesserung des Frauenstrafvollzugs?

Ein wesentlicher Faktor nach der Entlassung sind die Beschäftigungs- und Arbeitsmöglichkeiten. Ein großes Manko sind da Qualifizierungsmaßnahmen während der Haft. Da bräuchten wir viel mehr Angebote, vor allem auch niederschwellige Kurzausbildungen, es sind ja nicht alle Frauen jahrelang hier. Davon gibt es im Frauenvollzug zu wenig. Und dann wäre es auch gut, das Therapieangebot weiter auszuweiten.

Sehen Sie Alternativen zum Einsperren?

Von den 9000 Strafgefangenen in Österreich müsste man wahrscheinlich 5000 gar nicht ins Gefängnis sperren. Aber man muss etwas mit ihnen machen. Keine Intervention zu setzen geht auch nicht. Man kann ja einen Jugendlichen, der immer wieder gewalttätig wird, nicht einfach machen lassen. Im unteren Bereich gibt es Modelle: gemeinnützige Arbeit, Diversion, „Schwitzen statt Sitzen“. Um solche alternativen Modelle auch für schwerere Straftaten aufzubauen bräuchte es aber Geld. Und dann gibt es auch Leute, die wirklich gefährlich sind.
In Sciencefictionfilmen gibt’s Kulturen ohne Waffen, ohne Gefängnisse, ohne Gewalt. Aber man sieht in den Filmen leider nie, wie man dahin kommen kann, dass das funktioniert.