Einsperren, wie? wieso? warum?


Berichte der Exinsassin Sammy Kovac über die Zeit ihrer Haft

Sammy Kovac  war von 2003 bis 2007 in der JA Schwarzau inhaftiert. Sie ist eine der Protagonistinnen in Tina Leischs Film „Gangster Girls“. Im Laufe der Arbeit an dem Film begann sie zu schreiben. Ihre Berichte erscheinen regelmäßig im Augustin.

1. In Der Tag berichtet Sammy Kovac über die Tat, die Verhaftung, die  Ankunft in der Justizanstalt Schwarzau.
2. In Das Leben in der Haft erzählt Sammy Kovac von Konflikten zwischen  den Gefangenen.
3. Im dritten Teil Der Wasserkocher erfahren wir, wieso Sammy Kovac in der Haft eine neuerliche Verurteilung bekam.
4. Der Verrat ist ein sehr ehrlicher Bericht über das Dilemma des Verrates.
5. Bekanntschaften
6. Frauenlieben
7. BeamtInnen u.a.

Michel Foucault
aus: „Überwachen und Strafen“

Die Gefängnisse tragen nicht zur Verminderung der Kriminalität bei: Wie sehr man sie auch ausbaut, vervielfacht oder reformiert, die Zahl der Verbrechen und der VerbrecherInnen bleibt stabil oder steigt sogar. Die Haft fördert den Rückfall; aus dem Gefängnis entlassen, hat man mehr Chancen als vorher, wieder dahin zu kommen. Das Gefängnis ermöglicht, ja begünstigt die Organisation eines solidarischen und hierarchisierten Milieus von DelinquentInnen, die zu allen künftigen Komplizenschaften bereit sind. Anstatt von einem Versagen des Gefängnisses bei der Eindämmung der Kriminalität sollte man vielleicht davon sprechen, dass es dem Gefängnis sehr gut gelungen ist, die Delinquenz als einen spezifischen, politisch und wirtschaftlich weniger gefährlichen und sogar nützlichen Typ von Gesetzwidrigkeit zu produzieren. Es ist ihm gelungen, die Delinquenz als ein anscheinend an den Rand gedrängtes, tatsächlich aber zentral kontrolliertes Milieu zu produzieren; es ist ihm gelungen, DelinquentInnen als pathologisierte Subjekte zu produzieren.

Wolfgang Gratz
Studiengangsleiter Public Management der FH Campus Wien, vormals Strafvollzugsakademie
www.fbz-strafvollzug.at

Das Schlimmste, was einem Gefängnis passieren kann, ist, dass die Eingeschlossenen außer Kontrolle geraten, dass “Ruhe und Ordnung” (ein Begriffspaar, das im österreichischen Vollzugsgesetz siebzehnmal vorkommt, “Ordnung” alleine achtmal) ins Wanken geraten. Reibungslose Anpassung an die Gefängnismaschinerie ist das, was wirklich zählt - alles andere ist weniger wichtig.

Gute Gefangene sind für das Gefängnis InsassInnen, die sich in die vorgegebene Rolle widerspruchslos und reibungslos einfügen, die ihnen zugewiesenen Arbeiten anstandslos verrichten, keinerlei Verhaltensauffälligkeiten zeigen, sich nicht beschweren und alles unterlassen, womit sie das System in Frage stellen könnten - insgesamt also so tun, als könnten sie die ihnen zugewiesene Rolle der völlig passiven Anpassung problemfrei übernehmen. Hierin liegt einer der Gründe, wieso Gefängnis als “Besserungsanstalt” so wenig leistet. Die perfekte Gefängnisanpassung bedeutet Lebensuntüchtigkeit.

Die Statusdegradierung beim Eintritt in die Anstalt erzeugt bei den AnstaltsinsassInnen fast zwangsläufig den Impuls, die bedrohte Identität durch den Anstaltsregeln zuwiderlaufendes Verhalten zu sichern, wodurch ein starkes Kontrollsystem erst recht notwendig wird. Es werden im Gefängnis aber nicht nur kriminelle Werte gelernt und übernommen, sondern es wird entdeckt, Widersprüche zwischen Norm und Verhaltenswirklichkeit auszunützen, gegenüber Beamten Anpassung zu sagen und Abweichung zu tun, gegenüber Gefangenen gleichzeitig Opposition zu reden und Verrat zu üben, und schließlich andere mitzukorrumpieren. Vom Umgang mit Illegalität kann man im Gefängnis mehr erfahren als nur zu lernen, wie man Tresore knackt und wo man KomplizInnen findet. Gefängnisse erzeugen zumindest einen Teil der Verhaltensauffälligkeiten, zu deren Verhinderung sie eingerichtet sind.

Ein Briefwechsel

Hallo, Fr. Leisch!

Ich hatte die Möglichkeit, am Dienstag den 14.10 in unserer Justizanstalt den Film zu sehen, welcher hier produziert wurde.

Mit Wertschätzung ihrer Arbeit und in Anbetracht, dass ich diesen Film mit den Augen einer Justizwachebeamtin sah, wollte ich nach der Vorführung eigentlich keine Äußerung abgeben. Nachdem ich alles ein bißchen “sacken” lassen konnte, ist es mir dennoch ein Bedürfnis, ihnen eine Rückmeldung zu geben.

Ich bin sicherlich kein Mensch, der alles ablehnt, im Gegenteil. Ich bin offen und gespannt auf alles was da kommt. Nur dieser Film hat mich persönlich sehr traurig gemacht, da ich meinen Berufsstand als sehr negativ dargestellt wahrnahm. Auch wurde für mich das Bild der Inhaftierten unserer Justizanstalt als gewalttätig und reuelos dargestellt.

Ich weiß auch, dass es sich nicht um die Beamten gedreht hat, sondern um Insassen, die Beamte spielen. Dass ich mich aber auf das Bild des JWB´s konzentrierte, ist, denke ich, verständlich.

Schade, dass unser Berufsstand nicht ein bißchen besser weggekommen ist, da wir hier alle mit einer Aufgabe betraut sind, die nicht gerade einfach ist.

Schließlich und endlich begleiten wir Menschen eine sehr lange Zeit (manchmal sogar 20 Jahre lang), die für die meisten unserer Insassen höchstwahrscheinlich die schwierigste Zeit ihres Lebens ist. Und viele von den Insassinnen danken so manchen von uns für unsere sehr menschliche, fürsorgliche und verständnisvolle Art, mit der wir hier an die Probleme einzelner ran gehen. Wir sind gute Menschen, keine herzlosen, kalten Racheengel, die nur darauf sinnen, den Gefangenen das Leben hier herinnen zu erschweren.

Ich hoffe, dass die Menschen draußen, nicht so sehr auf die Figur in der Uniform achten sondern den Sinn des Films besser verstehen als so manche Kolleginnen hier.

Ich wünsche ihnen dennoch viel Erfolg bei der Viennale und verbleibe

mfg
Hötsch Cornelia

Sehr geehrte Frau Hötsch,

Ich danke Ihnen sehr für Ihren Kommentar zu unserem Film.

Ich selber zweifle sehr daran, daß es sinnvoll ist, Menschen einzusperren, zumindest für einen großen Teil derer, die ich als GefängnisisassInnen kennenlernen durfte, gäbe es wahrscheinlich fruchtbringendere (aber eben: teurere) Alternativen.

Ich habe aber in den vier Jahren Theaterarbeit hinter Gittern immer wieder gemerkt, daß das Eingesperrtsein nur dann zu ertragen ist - und sogar positive Auswirkungen zeitigen kann, - wenn diejenigen, die im Gefängnis arbeiten, einen hohen Anspruch an ihre Arbeit stellen und bereit sind, die Macht, die sie über andre ausüben zu reflektieren.

Ich habe gerade in der Schwarzau und in Gerasdorf einige Beamte und Beamtinnen kennengelernt, die sehr bewußt mit der Ihnen gegebenen Macht über die InsassInnen umgehen und sich sehr bemühen, den ihnen anvertrauten Menschen soweit wie möglich zu helfen und zu wichtigen AnsprechpartnerInnen und Vertrauenspersonen der Gefangenen werden.

Ich habe vor diesen BeamtInnen großen Respekt, denn einerseits ist Macht etwas, was die Machtausübenden meist viel weniger bewußt wahrnehmen, als diejenigen, über die Macht ausgeübt wird, andererseits kann es sicher sehr ermüdend sein, immer mit Menschen zu tun zu haben, die schwierig sind (oder besser: es schwierig haben) und trotzdem freundlich, hilfsbereit und gerecht zu bleiben.

Unser Film zeigt aber keine/n von ihnen. Wir haben uns nur darauf beschränkt, den InsassInnen zuzuhören und ihnen in der Theaterarbeit einen Freiraum zu geben, in dem sie über ihre Situation spielerisch nachdenken können.

Es ist wahrscheinlich kein Zufall, daß die von den Insassinnen gespielten “BeamtInnen” im Film immer nur bei Aktivitäten gezeigt werden, in denen es um Kontrolle, Durchsuchung, Erwischtwerden, also um die Ausübung ihrer Macht geht, daß sie nur als Ordnungsinstanz auftauchen, um zu verbieten, Streits zu schlichten, für Ordnung zu sorgen.

Ich glaube, zum einen ist das so, weil das Wesen des Dramatischen der Konflikt ist.

Eine nette Beamtin, mit der man über die Kinder und das Leben und die Liebe plaudert, ist zwar eine erfreuliche und manchmal rettende Erscheinung im wirklichen Leben, aber auf der Bühne vielleicht nicht sehr dramatisch.

Aus diesem Grund haben die InsassInnen bei den Improvisationen über ihr eigenes Leben wohl auch eher Konflikte, Schwierigkeiten, Gewalttätigkeiten als Glücksmomente gespielt.

Ich habe beim Schnitt des Filmes viel darüber nachgedacht, was es bedeutet, dass die Beamtinnen im Film nur als strenge Instanz der Macht vorkommen, nie als Menschen, mit denen man es auch manchmal fein und lustig hat.

Ich denke, es geht dabei um eine grundsätzliche Infragestellung der Entmündigung

die durch die Inhaftierung geschieht. Plötzlich müssen erwachsene Menschen um alles fragen wie ein kleines Kind. Plötzlich haben sie in der Instítution Gefängnis, - die ihnen in Gestalt der BeamtInnen gegenübertritt- eine fast allmächtige Instanz über sich, die über jedes kleinste Detail ihres Leben entscheidet.

Ich glaube, daß die Darstellung der BeamtInnen im Film vor allem ein Sichabarbeiten an dieser demütigenden Unterwerfung unter die Macht der totalen Institution ist, nicht so sehr ein realistisches Portrait von konkreten JustizwachebeamtInnen.

Ich denke, daß der Film auf einer anderen Ebene sehr wohl Ihre Arbeit und die all jener, die für einen humanen Strafvollzug und für eine Verbesserung der Situation der Gefangenen eintreten, würdigt.

Mit freundlichen Grüßen,
Tina Leisch

Die Justizanstalt für Frauen Schwarzau

A-2625 Schwarzau am Steinfeld; Wechselbundesstraße 23 – 24,
Tel.: 02627 82 352 Anstaltsleiter: Brigadier Gottfried Neuberger

Die Justizanstalt Schwarzau ist die einzige Frauenstrafvollzugsanstalt Österreichs. Sie wurde 1957 in einem ehemaligen kaiserlichen Jagdschloss eröffnet. Hier verbüßen alle Frauen, die zu mehr als 18 Monaten verurteilt wurden, ihre Strafe, durchschnittlich 155 Frauen, denn nur circa 5 % aller Strafgefangenen in Österreich sind weiblich. Außerdem sitzen auch 22 Männer im gelockerten Vollzug am Gutshof (Landwirtschaft, Fleischerei).

Die MitarbeiterInnen sind zu 70 % Frauen: JustizwachebeamtInnen, SozialarbeiterInnen, Psychologin, Psychiaterin, praktischer Arzt, Zahnarzt, GynäkologIn. Außerdem eine Krankenschwester, diverse Seelsorger und eine Kindergärtnerin für den Kindergarten, in dem Kinder von inhaftierten Frauen und Kinder von BeamtInnen gemeinsam betreut werden.

Die Frauen sind verteilt auf die Abteilungen: Jugend- und Erstvollzug, Normalvollzug, gelockerter Vollzug, Freigängerinnen-Abteilung (arbeiten in der freien Wirtschaft, schlafen in der Anstalt), Mutter-Kind-Abteilung (Kinder können bei der Mutter bleiben, wenn abzusehen ist, dass die Entlassung erfolgt, bevor das Kind vier Jahre alt wird). Es gibt verschiedene Ausbildungsmaßnahmen (Kooperation mit JA Gerasdorf, AMS, BFI, u.a.) und Vollbeschäftigung

in der Anstalt (zwei Küchen, Betriebe mit Auftragsarbeiten für die freie Wirtschaft, Gärtnerei, Wäscherei, Näherei, Hauswerkstätten, Landwirtschaft, Fleischerei, Parkpflege).

Die Justizanstalt bietet Therapien, sozialarbeiterische Betreuung und sozialpädagogisch orientierte Freizeitangebote wie: Theatergruppe, Trommelgruppe, Chor, div. Sportgruppen, Gruppenausgänge, koedukative Projekte gemeinsam mit der JA Gerasdorf.

Da Gewaltdelikte von Frauen überwiegend in Konfliktsituationen innerhalb eines komplizierten Beziehungsgeflechts gesetzt werden, können bei Frauen viel frühzeitiger Vollzugslockerungen gewährt werden. Das Gefahrenpotential ist viel geringer.

Die Justizanstalt für männliche Jugendliche Gerasdorf

A-2731 St Egyden, Puchberger Straße 1, Tel.: 02638 77431
Anstaltsleiterin: Hofrätin Dr. Margitta Essenther

Die JA Gerasdorf ist die einzige Strafvollzugsanstalt für Jugendliche in Österreich.

Eröffnet 1970, verfügt sie über 122 Haftplätze für männliche Jugendliche und junge Erwachsene. 80% der Insassen waren selbst Gewaltopfer, 95% haben Suchterfahrung.

67 JustizwachebeamtInnen, 3 PsychologInnen, 4 SozialarbeiterInnen, 3 LehrerInnen, Vertragsbedienstete, 4 ÄrztInnen und 3 Mitarbeiter des Bundesheeres bewachen, betreuen, erziehen und versorgen die Jugendlichen.

Es gibt Berufsausbildungen in 14 Lehrwerkstätten, Schulunterricht zum Haupt- und Sonderschulabschluss, Förderunterricht und PC-Kurse und Anleitung und Erziehung zu einer friktionsfreien Freizeitgestaltung. Je nach Bedarf erhalten die Jugendlichen Therapien und Beratungen durch den psychologischen, psychiatrischen und sozialen Dienst im Haus oder auch extern. Besuchsmöglichkeit 4x pro Woche.

An Freizeitaktivitäten werden angeboten: Gruppenausgänge (Wandern, Schifahren, Kino, Theater) Trommelgruppe, Theatergruppe, Musikgruppe, div. Sportgruppen, Bootsbau, u.a.

Seit 2006 gibt es koedukatives Arbeiten mit Mädchen und jungen Frauen der JA Schwarzau, im Rahmen der Ausbildung (Schule/Lehre) und Freizeitgestaltung (Sportfest, Theaterworkshop).

Von großer Bedeutung ist die Möglichkeit, mit den Jugendlichen auch räumlich viel Platz in der Anstalt (Freigelände, Sportanlagen) zu haben und in die Natur gehen zu können, um erlebnispädagogisch zu arbeiten.