Gangster Girls: Kino im Häfen
Julia Pühringer, Kurier online / 20.10.2008 [>]
KURIER Online auf Lokalaugenschein in der Strafvollzugsanstalt Schwarzau.
Sie sitzen wegen Drogendelikten, schwerer Körperverletzung, Betrug. Eine leistete Beihilfe bei einem Mordversuch, eine raubte für Drogen eine Pizzeria aus – für gerade einmal 300 Euro, die sie so ergatterte. Eine war Tänzerin in der Casanova Bar und verlor ihre Kinder fast ans Jugendamt, weil sie die Stromrechnung nicht bezahlen konnte. Als ihr ein Kunde aus der Schweiz das Geld für den Ausstieg schenkte, sah sie ihn kurz später in den TV-Nachrichten – “Schweizer Millionendieb am Flughafen Wien verhaftet” war der Titel des Beitrags.
Viele der Frauen lebten im Heim, rissen von zuhause aus, hatten Freunde, die an einer Überdosis zugrunde gingen – Gewalt am eigenen Leib mussten fast alle einmal erfahren. Sie sind Insassinnen der einzigen Strafvollzugsanstalt für Frauen in ganz Österreich, das hört man auch an den zahlreichen in- und ausländischen Dialekten der Protagonistinnen.
Nun leben sie in den Zellen der Justizanstalt Schwarzau in der Nähe von Wiener Neustadt, arbeiten für 1,50 Euro in der Stunde in der hauseigenen Küche und der Schneiderei. So stellt man sich einen Häfen allerdings nicht vor: untergebracht im ehemaligen kaiserlichen Jagdschloss, in dem seinerzeit Karl I seine Zita ehelichte. Seit den Fünfzigerjahren ist hier das Frauengefängnis untergebracht.
Regisseurin Tina Leisch erarbeitete mit den Insassinnen sowie mit in Gerasdorf inhaftierten männlichen Jugendlichen 2007 das Stück “Medea bloß zum Trotz”. Dabei entstand nicht nur ein Theaterstück, sondern auch ein kleiner Freiraum im Gefängnisalltag zwischen Drama, Gruppenkämpfen, Flirt und Selbstfindung. “Was will ma mehr, Burschen sind dabei”, sagt eine der Protagonistinnen. Aber auch dann gibt es trotz der eigenen Situation Vorbehalte: “Ich will keinen Freund, der im Gefängnis ist”, meint eine junge Frau. Auch über die Selbstsicht ist man geteilter Meinung: “Ich bin ein schlechter Mensch, seit ich neun Jahre alt bin, tu ich Menschen weh. Ich verdiene es, im Gefängnis zu sein”, sagt die eine. “Ich bin ja ka schlechter Mensch”, die andere – wegen Beihilfe zum Mord zu zehn Jahren Haft verurteilt. Und nebenbei entstand bei den Proben auch ein Dokumentarfilm über die jungen Frauen aus dem Theaterstück: “Gangster Girls”.
Maskenbildner verhindern, dass die Darstellerinnen und Darsteller zu erkennen sind – die Gesichter verschwinden hinter weiß-blau und grün glitzernder Schminke und falschen Wimpern. Nur knapp rasierte Bärte, Piercings und eingerissene Mundwinkel lassen die persönliche Geschichte der ProtagonistInnen durchblitzen.
Mitte Oktober durften die Insassinnen sowie die JustizwachebeamtInnen den Film zum ersten Mal sehen - im Festsaal von Schwarzau. Es herrschte große Aufregung, wie bei einer Schulvorstellung sammelten sich die aufgekratzten jüngeren und älteren Mädels. “Wie sie leibt und lebt”, flüstert ein Vollzugsanstaltbeamter beim Anblick einer Protagonistin im Film. Die Betreuer sind merklich in zwei Lager gespalten. “‘Mehr Arbeit’ war der erste Gedanke den wir hatten”, so eine Beamtin. “Es ging um sehr persönliche Themen, alle waren sehr durcheinander - das war für uns schwer, eine massive Belastung.” Aber auch für sie hat sich die Sache gelohnt: “Es ist ein guter Film. Aber den Frauen ist das manchmal eben selber zuviel gewesen.” Doch kurz später relativiert sie: “Aber sie sind draufgekommen, was sie alles können – sogar Theater spielen – und das hat ihnen sicher gut getan”.
Der Film eröffnet für alle Betroffenen eine neue Perspektive “Man stumpft im Alltag selbst ja ab”, meint einer, “man sieht sich selbst und was man in der Arbeit tut nach dem Film schon anders”. Die Protagonistinnen sind vom gesamten Projekt immer noch sichtlich begeistert: “Ich bin froh, dass ich mitgespielt hab. Ich hab zwei neue Seiten von mir kennengelernt – ich konnte Texte schreiben, bei der Musik ein bisschen mithelfen, ich hab da mein ganzes Herzblut hineingelegt, darauf bin ich schon stolz”. Bedenken, vor der Kamera zu stehen, hatte sie keine “Es war Abwechslung vom Alltag. Wir haben hier sonst tagtäglich das gleiche Programm, gehen arbeiten, außer am Wochenende, und ich habe nebenbei noch eine Ausbildung gemacht. Hier konnte man jemand völlig anderer sein, das war sehr schön. Ich würde draußen jetzt viel eher was mit Musik machen.” “Wir sind schon in der Gruppe zusammengeschweißt gewesen, auch mit den Jungs aus Gerasdorf. Das war schon anders, auch das Film-Team war extrem nett. Der Zusammenhalt in der Gruppe war schön, das hat man hier sonst nicht so wirklich”, meint die Protagonistin. “Gangster Girl 2″ zeigt sich ebenso begeistert: “Das Theater war super, das war mal etwas anderes, das hat mir total gefehlt die nächsten Monate. Jetzt bin ich sehr gespannt auf den Film”. Sie stand das erste Mal vor einer Kamera “im Rampenlicht stehen, alle schauen auf dich”, das hat ihr gefallen. Die Aufnahmen, die Wiederholungen fand sie allerdings schon auch einmal stressig.
Gangster Girls (OmeU). Dokumentarfilm. Regie: Tina Leisch. Zu sehen bei der diesjährigen Viennale am 20.10.2008 um 21:00 sowie am 22.10.2008 um 13:30 im Urania Kino. Beide Vorstellungen finden in Anwesenheit von Regisseurin Tina Leisch und Produzentin Ursula Wolschlager statt, es werden auch Darstellerinnen anwesend sein.