“Ganstergirls” im Knast
Kerstin Ewald, Neues Deutschland 30.01.2009 [ > ]
Filmvorführung in der JVA für Frauen in Lichtenberg / Gefängnistheater als Ausbruch aus dem Alltag
Eine Extravorstellung ihres Dokumentarfilmes »Gangstergirls« gab die Regisseurin Tina Leisch am Mittwoch in der JVA für Frauen in Lichtenberg. Der Film thematisiert den Gefängnisalltag von weiblichen Häftlingen in Österreich, der zusammen mit eben diesen Häftlingen künstlerisch zu Theaterszenen verdichtet wurde. Insassinnen und Angestellte der JVA Lichtenberg nahmen das Werk unter die Lupe und gingen mit der Inszenierung ihrer österreichischen »Kolleginnen« freimütig ins Gericht.
Der Film »Gangstergirls« begleitet Proben einer Theatergruppe des Schwarzauer Frauengefängnisses im Bundesland Niederösterreich. Die Frauen stellen Szenen aus ihrem Leben dar, sie handeln vom Umherziehen in Gangs, von Verrat und vom Streit ums Putzen der Zelle. Die Regisseurin Tina Leisch filmte die Szenen und erarbeitete daraus zusammen mit der Autorin Alma Hadzibeganovic ein Theaterstück mit dem Titel »Medea zum Trotz«. Der Film zeigt die Frauen nicht nur bei ihrer künstlerischen Arbeit, sondern lässt sie in einzelnen Sequenzen die Geschichte erzählen, die sie hinter Gitter brachte.
Die aus dem österreichischen Anstaltsrecht resultierende Notwendigkeit, die gefilmten Frauen zu anonymisieren, verkehrt der Film in einen ästhetischen Triumph. Mit flächig über die Gesichter verteilter weißer Schminkfarbe, mit bunten Akzenten und fantasievollen Frisuren werden die Gefangenen nicht nur vor Wiedererkennung geschützt, vielmehr lässt die Maskierung die Frauen in harlekinesker Schönheit erscheinen.
40 Insassinnen ließen sich in Lichtenberg am späten Mittwochnachmittag von den Justizvollzugsbeamtinnen zum Saal umschließen, um dort an der Preview dieses Films teilzunehmen, der in Österreich im März in die Kinos kommt. »Zu schön, zeigt zu wenig vom krassen Gefängnisalltag, zu wenig die Gewalt«, kritisierten einige Frauen den Film, die gleichzeitig zugaben, dass sie die österreichischen Dialoge teils schwer verstehen konnten. Theatermann Artur Albrecht, der mit Berliner Gefangenen seit Jahren spielt, bemängelte, dass in dem Film »Gangstergirls« die Schwarzauer Frauen Zeugnis über ihre eigenen Straftaten ablegen. Dies bediene einen Voyeurismus, den er bei eigenen Projekten mit teils drastischen Mitteln zu bekämpfen versuche. So ließ er bei einer öffentlichen Aufführung die Schauspielerinnen minutenlang stumm ins Publikum starren. Die anwesende »Gangstergirls«-Regisseurin und Nestroypreisträgerin Tina Leisch erklärte, dass auch sie nicht den Anspruch hatte, die Gefangenen in ihrem realen Alltag zu beobachten. »Die Gefangenen zeigen von sich nur, was sie zeigen möchten, sie haben Raum zur Selbstrepäsentation«, so Leisch.
Andere Gefangene lobten den Mut der österreicherischen Häftlinge, vor laufender Kamera von ihren Delikten und inneren Konflikten zu erzählen. Eine Frau mit verhärmtem Ausdruck merkt an: »Da sieht man ja, dass in Österreich wie in Deutschland Leute wegen geringfügiger Delikte, wegen ein paar hundert Euro im Knast sitzen. Und jemand wie Zumwinkel läuft frei herum.«
In Berlin wie in Niederösterreich sind die Mittel für Gefängnistheater gering. Im österreichischen Frauengefängnis stieß die Theaterarbeit zusätzlich auf harte Widerstände seitens des Justizpersonals: wegen der zusätzlichen Arbeit, welche die Proben machten, und teilweise auch wegen der verbreiteten altmodischen Vorstellungen, nach denen Häftlinge eher demütig sein sollen, statt sich selbstbewusst auf öffentlichen Bühnen zu produzieren. Für die Häftlinge birgt Gefängnistheater jedoch die Möglichkeit, aus dem eintönigen Alltag auszubrechen, birgt Entwicklungschancen und die Möglichkeit, Rollen für die Zeit nach dem Knast zu üben. Der Film »Gangstergirls« soll für diese Chancen eine Bresche schlagen.
Informationen zum Film unter: www.gangstergirls.at, zum Knasttheaterprojekt von Artur Albrecht: www.volkart.eu